sonntagszeitung.ch, 16. November 2016
Hausbesitzer ignorieren Erdbebengefahr
Kaum ein Schweizer versichert sein Haus gegen Erdbeben: Das zeigt eine Auswertung aus der Versicherungsbranche. Selbst der Schweizerische Erdbebendienst fordert jetzt eine obligatorische Versicherung.
Dominik Balmer
Im August lag der italienische Bergort Arnatrice in Schutt und Asche. 300 Menschen starben bei den Erdbeben im Gran- Sasso-Massiv. Vor einer Woche bebte die Erde in Mittelitalien abermals. 25 000 Menschen wurden obdachlos. Sie leben in Turnhallen und Behelfsunterkünften. Erdbeben wie in Italien sind auch in der Schweiz möglich. Jederzeit. «Wir wissen, dass ein starkes Erdbeben irgendwann passiert.
Die Frage ist nur, wann und wo genau das sein wird», sagt Florian Haslinger, stellvertretender Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes der ETH Zürich. Berechnungen zufolge ereignet sich in der Schweiz alle 100 Jahre ein Erdbeben mit der Magnitude 6.
Das Wallis und Basel haben die höchsten Quoten
Doch geschützt sind die Schweizer Hausbesitzer kaum. Das zeigt eine neue Auswertung der Zurich Versicherung. Untersucht haben die Spezialisten mehrere Zehntausend Versicherungsverträge aus allen Kantonen. Sie berechneten die Quote derjenigen Hausbesitzer, die neben einer obligatorischen Gebäude-Versicherung gleichzeitig auch noch eine Erdbebenversicherung abgeschlossen haben. Diese ist in der Schweiz freiwillig. Das Resultat: In kleinen Kantonen wie den beiden Appenzell, Schaffhausen, Uri und Glarus beträgt die Quote null oder nahezu null. In den meisten übrigen Kantonen sind es einige wenige Prozente. Am höchsten ist die Quote mit 31 Prozent im Wallis -- in einer Region also, in der die Wahrscheinlichkeit für Erdbeben grösser ist und wo sich Bewohner noch an das schwere Beben 1946 erinnern können. Auch die Stadt Basel gilt als gefährdet, trotzdem beträgt die Quote nur gerade 16,6 Prozent. Alain Marti, Erdbebenexperte beim interkantonalen Rückversicherungsverband, beurteilt die Abdeckung als ungenügend. «Wir haben eine grosse Versicherungslücke.» Das Problem sei, dass die Hausbesitzer Gefährdung und Risiko verwechseln würden. So ist zwar die Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens, also die Gefährdung,in Basel oder im Wallis höher. Das Risiko von Erdbebenschäden hingegen ist auch in Zürich sehr hoch, weil auf engem Raum viele Gebäude stehen. Das zeigt das Beispiel der Gebäude-versicherung des Kantons Zürich, die als einzige in der Schweiz eine obligatorische Erdbebenversicherung kennt. Grundlage für die Berechnung möglicher Schäden sind Beben in Basel, die sich bis nach Zürich auswirken.
Trügerisch ist vor allem; dass Erdbeben zwar eine tiefere Eintretenswahr-scheinlichkeit haben als grosse Hochwasser, aber keine andere Naturgefahr verfügt über ein so grosses Zerstörungspotenzial.
«Ein grosses Erdbeben in der Schweiz würde je nach Stärke und Ort Schäden in der Grössenordnung von 50 bis 140 Milliarden Franken verursachen», sagt TH-
Forscher Haslinger. Aus diesem Grund befürwortet der Erdbebendienst ein Versicherungsobligatorium -- damit würden Erdbeben gleich behandelt wie andere relevante Naturgefahren. Mit einem Obligatorium könnten lokale Modelle abgelöst werden, die im besten Fall Schäden bis zu 2 Milliarden Franken abdecken.
Doch von einem Obligatorium will die Politik nichts wissen. Eine entsprechende Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt ist jüngst im Ständerat gescheitert -- und sie dürfte auch im Nationalrat keine Chance haben. Behandelt wird sie frühestens in der Wintersession.Die Gegner eines Obligatoriums argumentieren, im Falle eines verheerenden Erdbebens müsse der Staat so oder so eingreifen, da brauche es keine Versicherung. Das bedeutet: Erleiden Hausbesitzer Schäden, müs-sen auch die Mieterüber ihre Steuern mitzahlen.
Erdbebensichere Häuser: Italien besser als die Schweiz
Im Nachgang zu den Beben in Italien hiess es, hierzulande seien die Gebäude besser gebaut als in Italien -- daher müsse man sich weniger Sorgen machen. Fakt ist: Gemäss Medienberichten sind in Italien 30 Prozent aller Häuser erdbebensicher gebaut. In der Schweiz sind es mit grosser Wahrscheinlichkeit weniger. Gemäss einer Schätzung des Bundesamts für Umwelt sind nämlich nur gerade 20 Prozent der Häuser in der Schweiz erdbebensicher. Die restlichen sind es entweder sicher nicht oder man weiss es nicht.
Für Ralph Echensperger, Schaden-Chef der Zurich Versicherung,ist klar: «Wer heute eine Immobilie nicht freiwillig gegen Erdbebenversichert, kann im Schadenfall vor existenziellen Problemen stehen.» Drastischer äussert sich der Basler SP-Nationalrat Beat Jans: «Wenn es in der Schweiz ein schweres Erdbeben gibt, werden Gebäude zerstört und Eigentümer insolvent dann platzt die Immobilienblase.»