Die Permanence beim Bahnhof Winterthur kann bei dringenden medizinischen Problemen ohne Voranmeldung täglich an 365 Tagen im Jahr von 7 bis 22 Uhr aufgesucht werden. Am 12. Juli 2021 erheben fünfundzwanzig Krankenversicherer vor dem Schiedsgericht in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Zürich Klage gegen die Permanence mit dem Begehren, diese sei zur Zahlung von insgesamt mindestens 1'177'038.62 Franken zu verurteilen. Der Grund: Die Permanence habe im Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis 30. April 2021 zu Unrecht für von ihr durchgeführte Behandlungen die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F gemäss TARMED abgerechnet. Das Zürcher Schiedsgericht weist die Klage mit Urteil vom 4. Dezember 2023 vollumfänglich ab. Der Fall gelangt ans Bundesgericht.
Streitpunkt: TARMED-Tarifposition 00.2505
Gemäss den Erwägungen im Bundesgerichtsurteil 9C_33/2024 vom 24. Juni 2024 geht es im vorliegenden Fall um die TARMED-Tarifposition 00.2505. Diese Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F darf nur bei dringlichen Konsultationen und Besuchen ausserhalb der regulären Sprechstundenzeiten, sowie von Montag bis Freitag von 19 bis 22 Uhr, Samstag von 7 bis 19 Uhr und sonntags von 7 bis 19 Uhr abgerechnet werden. Dabei müssen die in dieser Tarifposition definierten tarifarischen Dringlichkeitskriterien erfüllt sein. Weiter ist in dieser Tarifposition festgehalten, dass sie nicht "während einer regulären Sprechstunde wie einer Abendsprechstunde oder einer regulären Sonntags-Sprechstunde verrechnet werden" darf.
Streitig sind nur die Behandlungen in der Notfallpraxis an Werktagen zwischen 19 und 22 und am Wochenende zwischen 7 und 22 Uhr
Die Permanence beim Bahnhof Winterthur betreibt eine Notfallpraxis, die bei dringenden medizinischen Problemen ohne Voranmeldung täglich an 365 Tagen im Jahr von 7 bis 22 Uhr aufgesucht werden kann. Für diese Notfallpraxis werden keine Terminvereinbarungen entgegengenommen. Daneben betreibt die Permanence beim Bahnhof Winterthur in denselben Räumen eine gewöhnliche Hausarztpraxis, in der werktags während den üblichen Zeiten Sprechstunden vereinbart werden können. Im Streit vor dem Bundesgericht geht es einzig um die Abrechnung von Behandlungen der Notfallpraxis, die montags bis freitags zwischen 19 bis 22 Uhr sowie samstags und sonntags zwischen 7 bis 22 Uhr durchgeführt werden.
Während «regulären» Sprechstunden gibt es keine Dringlichkeit
Gemäss dem Wortlaut des TARMED darf die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F lediglich für Behandlungen abgerechnet werden, welche nicht während einer «regulären» Sprechstunde durchgeführt werden. Laut dem Bundesgericht zählt eine während den publizierten Öffnungszeiten vorgenommene Behandlung auf jeden Fall als während den «regulären» Sprechstundenzeiten durchgeführt. Wörtlich sagt das Bundesgericht: «Bietet eine Praxis lange Öffnungszeiten an, wirbt mit diesen und richtet damit gleichsam ihr Geschäftsmodell darauf aus, Patientinnen und Patienten ausserhalb der allgemein üblichen Zeiten zu behandeln, so führt dies dazu, dass sie nicht berechtigt ist, für die während den Öffnungszeiten vorgenommenen Behandlungen die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F abzurechnen.»
Die Krankenkassen erhalten ihr Geld zurück
Zusammenfassend hält das Bundesgericht fest: «Die Permanence beim Bahnhof Winterthur war nicht berechtigt, die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F (TARMED-Tarifposition 00.2505) für Behandlungen abzurechnen, die während der von ihr öffentlich bekannt gegebenen Öffnungszeiten durchgeführt wurden. Entsprechend ist die Beschwerde in dem Sinne gutzuheissen, als eine Rückerstattungspflicht an die Krankenkassen im Grundsatz zu bejahen ist. Das vorinstanzliche Urteil ist, soweit es die Beschwerdeführerinnen betrifft, aufzuheben und die Sache ist zur Festsetzung des Rückerstattungsbetrags an das Zürcher Schiedsgericht zurückzuweisen.»
Etliche Walk-in-Notfallpraxen müssen ihr Geschäftsmodell überdenken
Aufgrund dieses Bundegerichtsurteils müssen etliche Walk-in-Notfallpraxen, welche die Wirtschaftlichkeit nur dank der offenbar zu Unrecht abgerechneten Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F erreichen, ihr Geschäftsmodell überdenken. Das ist möglich. So unterstreicht Dr. med. Felix, Huber, Präsident des Zusammenschlusses von zehn regionalen Ärztenetzwerken «mediX», im Ärztebranchendienst «Medinside»: «’mediX’ begrüsst die bundesgerichtliche Klärung der umstrittenen Verrechnung der Inkonvenienzpauschale in Notfallpraxen. Während viele Permanencen sich immer korrekt verhalten haben, verrechneten andere diese Pauschale und generierten damit ein bedeutsames Zusatzeinkommen. Das ist wettbewerbsverzerrend und unfair.»
Bundesgericht killt Dringlichkeit-Inkonvenienzpauschalen von Walk-in-Notfallpraxen
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