Frau Dr. med. dent. A.A betreibt als alleinige Gesellschafterin eine erfolgreiche Praxis für Kieferorthopädie in der Form eines Einzelunternehmens. Mit Ihrem Mann reicht sie ein gemeinsames Scheidungsbegehren ein. Im Scheidungsurteil wird sie aufgrund einer güterrechtlichen Bewertung ihrer Kieferorthopädiepraxis zu einer Ausgleichszahlung von 216'563.30 Franken an ihren Ex-Mann verdonnert. Das Obergericht senkt dieses Zahlung nur leicht auf 210'963.75 Franken. Mit einer Beschwerde ans Bundesgericht verlangt sie, die Ausgleichszahlung auf 6'791.55 herabzusetzen. Begründung: Die Vorinstanzen haben für die güterrechtliche Bewertung ihres Unternehmens eine falsche Bewertungsmethode angewandt. Lesen Sie, weshalb das Bundesgericht diese Beschwerde gutheisst.
Vorinstanzen schätzen den Ertragswert der Praxis auf stolze 3'066'877.40 Franken
Die Vorinstanzen gehen für die güterrechtliche Wertbestimmung der Praxis für Kieferorthopädie von der sogenannten Praktikermethode aus: Der Verkehrswert ergibt sich dabei aus «einmal Substanzwert plus zweimal Ertragswert geteilt durch drei». Dabei gehen die Vorinstanzen mangels Eigenkapital des Einzelunternehmens von einem Substanzwert von null Franken und einem Ertragswert von 3’066’877.40 Franken aus.
In Abweichung von der reinen Praktikermethode berücksichtigten die Vorinstanzen den Substanzwert zu 90 Prozent und den Ertragswert zu 10 Prozent und bewerteten die Kieferorthopädiepraxis auf diese Weise mit 306'700 Franken. Dies soll dem Umstand Rechnung tragen, dass das Einzelunternehmen stark von der Persönlichkeit der Ehefrau geprägt ist und sich der Kundenstamm nicht ohne Weiteres auf einen neuen Eigentümer übertragen lässt. Dagegen wehrt sich die Ehefrau mit einer Beschwerde vor Bundesgericht. Sie rügt, es sei willkürlich, dass die Vorinstanzen bei der Unternehmensbewertung den Ertragswert mit 10 Prozent berücksichtigt haben. Vielmehr muss der Ertragswert bei der güterrechtlichen Bewertung ihrer Praxis unberücksichtigt bleiben.
Erwägungen des Bundesgerichts
Im Urteil 5A_361/2022 vom 24. November 2022 erwägt das Bundesgericht: «In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass die Praxis für Kieferorthopädie sehr stark von der Persönlichkeit der Beschwerdeführerin abhängt und sich der Kundenstamm nicht ohne Weiteres auf eine Käuferschaft übertragen lässt. Daher ist der Wert des Unternehmens ohne den Wert der Leistungen der Beschwerdeführerin zu ermitteln. Die Praktikermethode ermittelt den Ertragswert indes unter Einschluss der Leistungen des Unternehmers beziehungsweise der Unternehmerin, weshalb die Praktikermethode im vorliegenden Kontext als ungeeignet erscheint. Zwar hat das Obergericht den Besonderheiten des Einzelfalls insofern Rechnung zu tragen vorgegeben, als es lediglich 10 Prozent des Ertragswerts angerechnet hat. Eine Analyse der Übertragbarkeit und damit eine Unterscheidung zwischen unternehmensbezogener Ertragskraft und personenbezogener Ertragskraft hat jedoch nicht stattgefunden. Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich insbesondere nicht, worin die 10 Prozent beziehungsweise 306'700 Franken unternehmensbezogene Ertragskraft bestehen sollen. Nachdem das Einzelunternehmen der Beschwerdeführerin mit einem Substanzwert von null Franken über kein eigenes Kapital verfügt und ein Käufer offensichtlich nichts dafür zu bezahlen bereit wäre, muss geschlossen werden, dass die ermittelten 306'700 Franken einer hypothetischen Entschädigung für den geschäftsbezogenen Goodwill entsprechen. Es fehlt aber jegliche Erklärung dafür, weshalb ein Käufer bereit sein soll, für einen schwer übertragbaren Kundenstamm 306'700 Franken zu bezahlen. Das Obergericht scheint einfach einen ungefähren Betrag als Wert des Einzelunternehmens der Beschwerdeführerin genommen zu haben, was methodisch unzulässig ist. Insgesamt hat das Obergericht auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen, weshalb sich der für die Zwecke der güterrechtlichen Auseinandersetzung ermittelte Verkehrswert des Einzelunternehmens der Beschwerdeführerin als willkürlich erweist. Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet.»
Scheidungswillige sollten einen Vergleich machen
Der Blog für Wirtschaftsrecht «swissblawg» kommentiert dieses Bundesgerichturteil wie folgt: «Das Urteil zeigt, dass bei der Ertragsbewertung von personenbezogenen Unternehmen keine allgemeingültigen Formeln herangezogen werden können, auch wenn man denen in der Praxis oftmals noch immer begegnet. Vielmehr ist einzelfallbezogen zu prüfen, was ein Käufer auf dem freien Markt für den geschäftsbezogenen Goodwill zu zahlen bereit wäre. Dies macht die Unternehmensbewertung für die Parteien in hohem Mass unvorhersehbar. Gutachten sind unumgänglich und dürften aufgrund der geforderten Einzelfallanalyse Zeit in Anspruch nehmen und kostspielig sein. Dies wiederum macht für Scheidungswillige Vergleiche in diesem Bereich äusserst attraktiv.»