Gemäss geltendem AHV-Gesetz erhalten verwitwete Männer eine Witwerrente, solange ihre Kinder weniger als 18 Jahre alt sind. Witwen hingegen kriegen die Rente auch dann, wenn die Kinder bereits erwachsen sind. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR erklärte diese Ungleichbehandlung in einem Urteil vom 11. Oktober 2022 für diskriminierend. Die Schweiz muss deshalb zwingend das AHV-Gesetz anpassen. Das dauert hierzulande lange. Bis zur definitiven AHV-Gesetzesänderung gibt es deshalb eine auf den 11. Oktober 2022 in Kraft getretene Übergangsregelung.
Gleichstellung von Witwern mit Kindern und Witwen mit Kindern
Das Bundesamt für Sozialversicherung BSV hat am 21. Oktober 2022 in der «Mitteilung an die AHV-Ausgleichskassen und EL-Durchführungsstellen Nr. 460» die folgende «Übergangsregelung für Witwerrenten der AHV in Folge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR» kommuniziert:
- Witwer sowie die im Gesetz den Witwern gleichgestellten überlebende eingetragenen Partnerinnen und Partner mit minderjährigen Kindern, deren AHV-Witwerrente am 11. Oktober 2022 bereits ausbezahlt wurde, erhalten die Witwerrente zeitlich unbefristet.
- Nicht geschiedene Ehemänner mit Kindern, die nach dem 11. Oktober 2022 verwitwen, erhalten eine zeitlich unbefristete Witwerrenten ohne Berücksichtigung des Alters der Kinder.
- Witwer, deren Kinder bereits volljährig geworden sind und die gegen die Einstellung der AHV-Witwerrente Beschwerde eingelegt haben, werden die AHV-Witwerrente weiterhin erhalten, wenn ihre Beschwerde am 11. Oktober 2022 noch hängig war.
- Witwer, die sich wiederverheiratet haben und deren neue Ehe geschieden oder ungültig erklärt wird und deren jüngstes Kind aus der ersten Ehe am 11. Oktober 2022 das 18. Altersjahr noch nicht vollendet hat, kommen in den Genuss des Wiederauflebens der zeitlich unbefristeten AHV-Witwerrente gemäss Artikel 23, Absatz 5 des AHV-Gesetzes.
Wann enden zeitlich unbefristete Witwenrenten und Witwerrenten?
Die zeitlich unbefristeten Witwenrenten und Witwerrenten erlöschen bei Tod, Wiederverheiratung oder Entstehung des Anspruchs auf eine höhere AHV-Altersrente oder eine höhere IV-Rente. Für die Ablösung der Witwerrente durch die eigene AHV-Altersrente oder IV-Rente gelten die Bestimmungen analog zu den Witwenrenten gemäss der «Wegleitung über die Renten (RWL) in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung», Ziffer 5620: «Erfüllt eine Person gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Alters- oder Invalidenrente sowie die Voraussetzungen für eine Witwen- oder Witwerrente kommt die höhere der beiden Renten zur Ausrichtung (Art. 24b des AHV-Gesetzes)».
Wie geht es weiter?
Die Schweizer Behörden müssen nun entscheiden, wie das AHV-Gesetz angepasst werden soll, um Witwen und Witwer gleichzustellen. Theoretisch ist es möglich, die Anspruchsvoraussetzungen für die Witwer zu erweitern oder jene der Witwen zu reduzieren oder auch das System der Leistungen für Hinterlassene grundlegend zu überarbeiten, so dass alle Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen aufgehoben werden. Aufgrund verschiedener parlamentarischer Vorstösse wird der Bundesrat wohl demnächst einen Bericht über die möglichen Stossrichtungen vorlegen. Bis zum Inkrafttreten einer Gesetzesänderung gilt nur die «Witwer-mit-Kindern-Übergangsregelung».
Witwer ohne Kinder müssen deshalb noch einige Zeit auf die Gleichstellung mit Witwen ohne Kinder warten. Für Witwen ohne Kinder gilt gemäss Artikel 24 des AHV-Gesetzes: «Witwen haben Anspruch auf eine Witwenrente, wenn sie im Zeitpunkt der Verwitwung keine Kinder oder Pflegekinder, jedoch das 45. Altersjahr vollendet haben und mindestens fünf Jahre verheiratet gewesen sind. War die Witwe mehrmals verheiratet, so wird auf die Gesamtdauer der Ehen abgestellt.» Man braucht kein begnadeter Prophet zu sein, um vorauszusagen: Bis Witwer ohne Kinder mit Witwen ohne Kinder gleichgestellt sind, wird es noch einige politische Auseinandersetzungen geben.