Dr. med. vet. Martin Kull, 61-jährig (Bild) führt in Ernen im Wallis zusammen mit seiner gleichaltrigen Frau Dr. med. vet. Karin Kull und dem Tierarzt med. vet. Ulrich Werhahn, 49-jährig, sowie drei Tiermedizinischen Praxisassistentinnen eine erfolgreiche Gross- und Kleintierpraxis als Einzelunternehmen mit Einzelunterschrift. Im Hinblick auf die in der Schweiz, namentlich in Randgebieten, derzeit oft schwierige Praxisnachfolge ist dem Veterinärehepaar Kull eine originelle Lösung gelungen: Der zurzeit angestellte Tierarzt wird mit Wirkung ab dem 1. Januar 2023 Inhaber der Praxis, und zwar zusammen mit einer Tierärztin, die beim Ehepaar Kull früher ein Praktikum gemacht hat. Das Ehepaar Kull wird bis zum Pensionsalter in der selbst aufgebauten Praxis im Anstellungsverhältnis weiterarbeiten. Lesen Sie das Interview, das die «ABC-Info» mit Dr. med. vet. Martin Kull in seiner Gross- und Kleintierpraxis in Ernen geführt hat.
Dr. Martin Kull, wie sind Sie in Ernen im Wallis gelandet?
Dr. Martin Kull: Aufgewachsen in der Zürcher Gemeinde Uitikon habe ich an der Universität Zürich mit dem Tierarztdoktortitel abgeschlossen und dann in verschiedenen Tierarztpraxen meine beruflichen Wanderjahre durchlaufen. Dann betreute ich für den tierärztlichen Dienst des Kantons Wallis ein Projekt zur Bekämpfung der Ziegenkrankheit Caprine Arthritis-Enzephalitis CAE. Dort hat mich der Kantonstierarzt auf eine Tierarztpraxis in Reckingen im Walliser Goms aufmerksam gemacht, die an einer Nachfolgelösung arbeitet. Zusammen mit meiner ebenfalls als Tierärztin tätigen Frau stiegen wir im Goms ein. Aufgrund der Sperrung der Verkehrswege wegen Lawinengefahr haben wir den Sitz nach Ernen verlegt, wo wir seit 1992 unsere Gross- und Kleintierpraxis führen.
Wie entwickelte sich das Geschäft?
Dr. Martin Kull: Mit drei Tierärzten und drei Tiermedizinischen Praxisassistentinnen betreuen wir Nutztiere im ganzen Goms und bieten den Kleintierhaltern einen umfassenden Service. Dabei haben wir uns in den dreissig Jahren unserer Tätigkeit weitherum einen soliden Namen geschaffen. 55 Prozent des Umsatzes kommen von der Nutztierbetreuung und 45 Prozent erwirtschaften wir mit Kleintieren.
Haben Sie nie ins Auge gefasst, die Tierarztpraxis in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH oder eine Aktiengesellschaft AG umzuwandeln?
Dr. Martin Kull: Während der jahrzehntelangen Praxistätigkeit hier in Ernen hatte ich nie einen Beweggrund, mein erfolgreiches Einzelunternehmen mit Einzelunterschrift in eine Kapitalgesellschaft umzuwandeln. Erst als wir vor einiger Zeit begannen, mit Fachleuten die Nachfolgeregelung zu diskutieren, kam das Thema «Aktiengesellschaft» auf den Tisch. Jetzt ist es uns gelungen, eine erfolgversprechende Nachfolgelösung in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH zu finden.
Ach ja, Sie haben schon eine Nachfolgelösung?
Dr. Martin Kull: Ja, wir konnten sogar aus mehreren Bewerbern auswählen. Nun haben wir uns entschieden, das von einem Spezialisten für Tierarztpraxisbewertungen bewertete Einzelunternehmen samt der geschäftlichen Immobilie auf den 31. Dezember 2022 vollständig zu verkaufen. Käufer ist unser derzeit angestellter Tierarzt med. vet. Ulrich Werhahn zusammen mit einer Tierärztin, die früher bei uns ein Praktikum gemacht hat. Den Käufern gelang es, die Finanzierung sicherzustellen, sodass der Verkauf am 31. Dezember 2022 vollständig abgewickelt werden kann. Und nun kommt das Originelle an unserer Nachfolgelösung: Meine Frau und ich bleiben ab dem 1. Januar 2023 bis zum Pensionsalter angestellte Tierärzte in der von uns aufgebauten Praxis. Das heisst: Ich muss jetzt in meinen letzten Berufsjahren lernen, nach meiner erfolgreichen Unternehmerkarriere ein guter Angestellter zu werden.
Wie haben Sie das Versicherungsproblem gelöst?
Dr. Martin Kull: Unter der Betreuung der ABC-Ärzteberatung in Cham lösen wir auf den 31. Dezember 2022 alle praxisrelevanten Versicherungen auf. Die Nachfolger werden die geschäftlichen Versicherungen neu starten, damit keine Versicherungslücken entstehen. Die uns privat betreffenden Versicherungen führen wir fort.
By the way, wie ist es eigentlich möglich, in Ernen von einem geografisch weit entfernten Versicherungsberater betreut zu werden?
Dr. Martin Kull: Wir sind seit vielen Jahren bei der ABC-Ärzteberatung. Die räumliche Distanz zwischen uns war nie ein Problem, zumal in unserer digitalisierten Zeit. Entscheidend ist das passende und kostengünstige Versicherungsangebot des Versicherungsvermittlers und die massgeschneiderte Betreuung. Damit waren wir stets voll zufrieden.
Apropos Digitalisierung: Wie profitieren Sie davon?
Dr. Martin Kull: Wir können heute alle Dokumente und Röntgenbilder in Echtzeit digitalisiert übermitteln, was unsere Arbeit stark erleichtert hat. Kommt dazu: Die Covidkrise hat bei den Online-Weiterbildungsveranstaltungen einen Boom ausgelöst. Damit sparen wir Tierärzte in den Randgebieten viele Stunden Anfahrtszeit. Wir hoffen, dass auch in Zukunft etliche Weiterbildungsveranstaltungen online stattfinden. Damit wird es möglich, dass wir Randgebiet-Tierärzte ein vorteilhaftes Gleichgewicht zwischen zeitsparenden Onlineveranstaltungen und physisch besuchten Veranstaltungen finden.
Was hat sonst noch besondere Auswirkungen auf den Alltag der Randgebiet-Tierärzte?
Dr. Martin Kull: Tierarztpraxen, die wie wir in einem Randgebiet tätig sind, müssen 365 Tage im Jahr einen Rund-um-die-Uhr-Service sicherstellen. Oder: Als Randgebiet-Tierarzt muss man Leute finden, die zeitlich jederzeit zu Sondereinsätzen bereit sind. Ich weiss, dass das im Zeitalter der Work-Life-Balance für viele junge Menschen ein rotes Tuch ist. Deshalb klären wir die Interessentinnen und Interessenten für eine Tätigkeit bei uns, die auch hier oft aus Deutschland kommen, über die notwendige Bereitschaft zur flexiblen Arbeitszeit auf.
Ihre Schlussbotschaft?
Dr. Martin Kull: Tierärztin oder Tierarzt zu sein ist nach wie vor einer der schönsten und befriedigsten Berufe der Welt. Zumal dann, wenn man den Beruf in der Selbständigkeit ausführen oder als Angestellte oder Angestellter sich gut in ein Team eingliedern kann. Und wenn man in den Ansprüchen an den zeitlichen Einsatz flexibel ist. Die Nachwuchskräfte sollten es auf jeden Fall nicht von vornherein ausschliessen, die berufliche Laufbahn in einem Randgebiet zu starten. Ich habe es nie bereut, zusammen mit meiner Frau seit 30 Jahren im Walliser Ernen tätig zu sein.