Das Zürcher Obergericht verdonnert einen gutsituierten Mann in einem Scheidungsurteil, seiner Ex-Frau jeden Monat mehr als 10'000 Franken Unterhalt plus 4'800 Franken an Wohnkosten plus 350 Franken für die Hausratversicherung zu bezahlen. Und das für die nächsten sechs Jahre, bis die gemeinsame Tochter die Schuloberstufe abgeschlossen hat. Das Obergerichtsurteil soll sicherstellen, dass die Ex-Frau trotz Scheidung und ohne zu arbeiten ihren gehobenen Lebensstandard auch nach der Ehe beibehalten kann. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Mannes gegen die hohe Unterhaltszahlung teilweise gut: Es weist das Obergericht an, den Unterhalt auf die vorehelichen finanziellen Verhältnisse der Ehefrau auszurichten, damit nur der «Heiratsschaden» der Frau ersetzt wird. Der Ex-Frau wird es damit bundesgerichtlich verwehrt, ohne eigene Arbeit den in der Ehe erreichten gehobenen Lebensstandard weiterzuführen.
Die Ehe wird immer weniger als «lebensprägend» angesehen
Das Bundesgericht hat in diesem am 25. März 2022 veröffentlichten neusten Urteil 5A_568/2021 zur Höhe von Unterhaltszahlungen nach der Scheidung die in früheren Urteilen bereits deutlich gemachte Rechtsausfassung bestätigt: Künftig muss der Begriff der «lebensprägenden» Ehe sehr eng ausgelegt werden.
Vor den jüngsten Bundesgerichturteilen hatten Frauen nach der Scheidung automatisch einen persönlichen Unterhaltsanspruch, wenn aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind. Nach Auffassung der Gerichte galt die Ehe dann automatisch als «lebensprägend»: Mutter und Kinder sollten den gewohnten Lebensstil auch nach der Scheidung fortführen können, bis die Kinder grösser waren. Und für Frauen ab Alter 45, die während der Ehe nie gearbeitet hatten, galt es als unzumutbar, nach der Scheidung wieder zu arbeiten.
Damit scheint es aufgrund der jüngsten Bundesgerichtsurteile vorbei zu sein: Das Gericht fordert grundsätzlich von beiden Ehepartnern, nach der Scheidung eigenverantwortlich für sich zu sorgen. Entsprechend tiefer fallen die gerichtlich festgelegten Unterhaltszahlungen aus. Oder: Die Ehe verliert ihren Charakter als Lebensversicherung.
«Heiratsschaden» steht im Zentrum der künftigen Scheidungsverfahren
Der Blog zum schweizerischen Wirtschafsrecht «swissblawg» kommentiert die sich herausbildende neue Rechtsauffassung rund um die Unterhaltszahlungen bei Scheidungsverfahren wie folgt: «Das am 25. März 2022 veröffentlichte Urteil 5A_568/2021 zeigt, dass das Bundesgericht den Begriff der ‘lebensprägenden’ Ehe sehr eng verstanden haben will. Künftig kann eine Ehe nur noch bei während längerer Zeit gelebter, klassischer Hausgattenehe als ‘lebensprägend’ qualifiziert werden. Die restriktive Rechtsprechung wird dazu führen, dass künftig in Scheidungsverfahren vermehrt darüber gestritten wird, ob einer der Ehegatten einen ‘Heiratsschaden’ erlitten und entsprechend Anspruch auf nachehelichen Unterhalt hat, um finanziell wieder so gestellt zu sein, als wäre die Ehe nie geschlossen worden. Dies wird für die Parteien oftmals der einzige verbleibende Weg sein, um zumindest für eine beschränkte Zeit nachehelichen Unterhalt erhältlich machen zu können.»
Fazit: Wenn Frauen zugunsten der Familie beruflich zurückstehen, werden sie vom Ehepartner finanziell abhängig. Kommt es zur Scheidung, können sie sich nun nicht mehr darauf verlassen, finanziell abgesichert zu sein. Besser ist es mithin, dank eigener Arbeit gar nie in die finanzielle Abhängigkeit vom Ehepartner zu geraten.