Die Gesetzesänderungen im Rahmen der «Weiterentwicklung der Invalidenversicherung IV» traten am 1. Januar 2022 in Kraft. Ziel ist es, das System der Invalidenversicherung zu verbessern, indem namentlich die Eingliederung der Betroffenen verstärkt und damit eine langfristige Invalidität verhindert wird. Im Zentrum stehen dabei die intensivere Begleitung und Steuerung bei Geburtsgebrechen, die gezielte Unterstützung von Jugendlichen beim Übergang ins Erwerbsleben und der Ausbau der Beratung und Begleitung von Menschen mit psychischen Gesundheitsstörungen. Zur Erreichung der Ziele soll namentlich die Zusammenarbeit zwischen den Ärztinnen und den Ärzten und der Invalidenversicherung ausgebaut werden.
Von der Rentenversicherung zur Eingliederungsversicherung
Die Invalidenversicherung IV hat sich erfolgreich von einer Rentenversicherung zu einer Eingliederungsversicherung gewandelt. Dies wird auch in den Ergebnissen der Evaluationen der letzten IV-Revisionen erkennbar. Diese Evaluationen zeigen aber auch, dass bei den Kindern und den Jugendlichen sowie bei Personen mit psychischen Gesundheitsstörungen weitere Massnahmen nötig sind, um die Invalidität zu vermeiden und die Eingliederung zu fördern. Die OECD hat in ihrer 2014 veröffentlichten Studie zur psychischen Gesundheit und Beschäftigung in der Schweiz aufgezeigt, dass es eine Verstärkung der Koordination und Kooperation der IV mit anderen Akteuren des Gesundheits-, des Schul- und des Berufsbildungswesens sowie mit den Arbeitgebern und den Partnerversicherungen braucht, um die Berufschancen von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erhöhen. Weitere Forschungsarbeiten kamen zum Schluss, dass vor allem die enge Zusammenarbeit zwischen den IV-Stellen und den behandelnden Ärztinnen und Ärzten zum Gelingen einer erfolgreichen Eingliederung beitragen kann.
Bessere Zusammenarbeit zwischen der IV sowie den Ärztinnen und Ärzten
Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte verfügen über eine umfassende Kenntnis der Krankheitsgeschichte und der aktuellen gesundheitlichen Situation einer Person. Sie stellen die Diagnose und können Aussagen zu Schweregrad, Auswirkungen und Prognose eines gesundheitlichen Ereignisses machen. Ihre Behandlungen sind tendenziell auf die Behandlung der Symptome und Defizite fokussiert. Für die IV-Stellen steht hingegen die Frage, wie sich eine für den Versicherten zumutbare medizinische Behandlung auf die Eingliederung ins Erwerbsleben auswirkt, im Vordergrund.
Um die Zusammenarbeit zu stärken, werden behandelnde Ärztinnen und Ärzte besser über die IV im Allgemeinen sowie über die Eingliederungsmassnahmen ihrer Patientinnen und Patienten informiert. Zudem erhalten versicherungsmedizinische Inhalte in der ärztlichen Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung mehr Platz. Es geht dabei nicht nur um die Stärkung des Vertrauens, vielmehr ist eine verbesserte Information auch eine wichtige Voraussetzung für die Arbeit mit den Patientinnen und Patienten. Zur Erleichterung des gegenseitigen Austauschs wird die IV-Stelle von ihrer Schweigepflicht nach Artikel 33 des «Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts ATSG» gegenüber den behandelnden Ärztinnen und Ärzten entbunden. Dies ermöglicht einen raschen und informellen gegenseitigen Informationsaustausch und fördert die Zusammenarbeit.
Präzisere Regelung der ärztlichen Abklärungen und medizinischen Gutachten
Im Hinblick auf eine einheitliche Regelung für alle Sozialversicherungen werden die Partizipationsrechte der Versicherten und die Rolle der Durchführungsstellen im Rahmen des Amtsermittlungsverfahrens neu auf Gesetzesstufe im «Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts ATSG» verankert. Unter anderem werden die Abklärungsmassnahmen insbesondere in Zusammenhang mit medizinischen Begutachtungen einheitlich geregelt. Der Bundesrat bestimmt die Kriterien für die Zulassung von Sachverständigen und kann die Vergabe von Gutachten regeln. Neu wird eine ausserparlamentarische Kommission eingesetzt, die die Zulassung als Gutachterstelle, das Verfahren der Gutachtenerstellung und die Ergebnisse der medizinischen Gutachten überwacht. In dieser Kommission sind die verschiedenen Sozialversicherungen, die Gutachterstellen, die Ärztinnen und Ärzte, die Wissenschaft sowie Organisationen von Patientinnen und Menschen mit Behinderung vertreten.
Das Gespräch der Gutachterin oder des Gutachters mit der versicherten Person muss mit einer Tonaufnahme dokumentiert und zu den Akten genommen werden, ausser wenn es die versicherte Person anders bestimmt. Die IV-Stellen müssen eine Liste mit Angaben zu allen beauftragten Sachverständigen und Gutachterstellen führen und veröffentlichen, wobei auch die attestierten Arbeitsunfähigkeiten auszuweisen sind.
Vertiefte Informationen über die am 1. Januar 2022 in Kraft getretene «Weiterentwicklung der Invalidenversicherung IV» sind im Hintergrunddokument «Die Vorlage im Überblick» sowie in der aktualisierten Broschüre «Ein bewährtes System einfach erklärt – Die schweizerische Invaliditätsvorsorge» zu finden.