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Suchterkrankung August 19Das Bundesgericht ändert seine Rechtsprechung hinsichtlich des Anspruchs auf Leistungen der Invalidenversicherung bei Vorliegen einer Suchterkrankung: Künftig ist wie bei allen anderen psychischen Erkrankungen anhand eines strukturierten Beweisverfahrens abzuklären, ob sich eine fachärztlich diagnostizierte Suchtmittelabhängigkeit auf die Arbeitsfähigkeit der betroffenen Person auswirkt.

Erfolgreiche Beschwerde eines benzodiazepin- und opioidabhängigen Mannes
Das Bundesgericht heisst im Bundesgerichtsentscheid 9C_724/2018 die Beschwerde eines benzodiazepin- und opioidabhängigen Mannes gut, der erfolglos eine IV-Rente beantragt hatte. Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass die durchgeführte psychiatrische Begutachtung des Betroffenen, aus der eine Arbeitsunfähigkeit infolge Suchterkrankung resultierte, den Anforderungen an das strukturierte Beweisverfahren genügte. Da eine schrittweise Steigerung der Leistungsfähigkeit bei Weiterführung der therapeutischen Begleitung mit kontrollierter Opioidabgabe und nach allmählichem Benzodiazepinentzug bloss möglich, nicht jedoch innert bestimmter Frist überwiegend wahrscheinlich ist, besteht vorerst Anspruch auf eine volle Invalidenrente. Der Leistungsanspruch des Mannes wird nach Durchführung der Therapie durch die IV-Stelle zu gegebener Zeit revisionsweise zu überprüfen sein.

Die bisherige Rechtsprechung
Gemäss bisheriger langjähriger Rechtsprechung des Bundesgerichts führten primäre Suchterkrankungen als solche grundsätzlich nicht zu einer Invalidität im Sinne des Gesetzes. IV-rechtlich wurde eine Suchterkrankung erst dann von Bedeutung, wenn diese in eine Krankheit oder einen Unfall mündete oder wenn die Sucht infolge einer Krankheit entstand. Diese Rechtsprechung ging letztlich davon aus, dass die süchtige Person ihren Zustand selbst verschuldet habe und eine Abhängigkeit ohne Weiteres einem Entzug zugänglich sei.

Rechtsprechung wird geändert
Im Bundesgerichtsentscheid 9C_724/2018 wird dies bisherige Rechtsprechung geändert. Nach vertiefter Auseinandersetzung mit Erkenntnissen der Medizin kommen die Bundesrichter zum Ergebnis, dass an der bisherigen Praxis nicht festzuhalten ist. Aus medizinischer Sicht handelt es sich bei einer Sucht klar um ein krankheitswertiges Geschehen. Es drängt sich insofern die gleiche Sichtweise auf wie bei anderen psychischen Störungen, bei denen im Einzelfall aufgrund objektiver Massstäbe beurteilt wird, ob die betroffene Person trotz des ärztlich diagnostizierten Leidens ganz oder teilweise einer angepassten Arbeit nachgehen kann.
Die Rechtsprechung wird deshalb dahingehend geändert, dass einem fachärztlich einwandfrei diagnostizierten Abhängigkeitssyndrom beziehungsweise einer Substanzkonsumstörung nicht mehr zum vornherein jegliche IV-rechtliche Relevanz abgesprochen wird.

Strukturiertes Beweisverfahren
Künftig ist bei Suchterkrankungen wie bei allen anderen psychischen Erkrankungen nach dem strukturierten Beweisverfahren zu ermitteln, ob und gegebenenfalls inwieweit sich ein fachärztlich diagnostiziertes Abhängigkeitssyndrom im Einzelfall auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt.

Pflicht zur Schadenminderung der Betroffenen
Selbstverständlich gilt auch bei einem Abhängigkeitssyndrom die Pflicht zur Schadenminderung. Vom Betroffenen kann etwa die aktive Teilnahme an zumutbaren medizinischen Behandlungen verlangt werden. Kommt er dieser Schadenminderungspflicht nicht nach und erhält somit seinen krankhaften Zustand aufrecht, ist eine Verweigerung oder Kürzung der Leistungen der Invalidenversicherung möglich.



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