Ganz im Stillen hat das Bundesgericht im Entscheid 5A_98/2016 vom 25. Juni 2018 bisher geltende Regeln beim Unterhalt von Kindern nach der Scheidung zumindest ausgehöhlt. Das verleitet die «NZZ am Sonntag» am 14. Juli 2018 zu titeln: «Mütter sollen nach der Scheidung an die Arbeit».
Bisher galt die «10/16-Regel»
Betreuung und Unterhaltszahlungen für die Kinder bei Ehestreitigkeiten. Laut der «NZZ am Sonntag», folgen die Richter seit jeher der sogenannten «10/16-Regel». Diese besagt, dass die hauptbetreuende Person vor dem 10. Geburtstag des jüngsten Kindes nicht arbeiten muss und danach bis zu dessen 16. Altersjahr nur mit einem Pensum von 50 Prozent. Nun hat das Bundesgericht im Entscheid 5A_98/2016 vom 25. Juni 2018 diese Regel abgeschwächt. Zu beurteilen war dabei der Fall einer geschiedenen Mutter, die für zwei Kinder aus erster Ehe unterhaltspflichtig ist und mit einem neuen Partner ein drittes Kind bekam. Damit stellte sich die Frage, ob die Frau trotzdem arbeiten muss, um ihren Teil an den Unterhalt der ersten beiden Kinder zu leisten. In ihrem Entscheid bejahen die Bundesrichter dies.
Kind aus einer Affäre
In ihren Erwägungen unterstreichen die Bundesrichter: Hat die Mutter schon vor der Trennung gearbeitet, kann sie danach nicht plötzlich damit aufhören und dem Vater den ganzen finanziellen Unterhalt aufbürden. Blieb sie umgekehrt bisher zu Hause, muss sie nicht plötzlich zu arbeiten beginnen. In der Praxis ist damit die 10/16-Regel stark relativiert. Denn heute bleiben fast 76 Prozent der Frauen nach Geburt des ersten Kindes zumindest Teilzeit im Berufsleben.
Noch deutlicher werden die Richter in der Erwägung der Situation, wenn ein Kind aus einer Affäre hervorgeht. In solchen Fällen könne die persönliche Betreuung des Kindes im ersten Lebensjahr des Kindes angezeigt sein, heisst es im Urteil. In dieser Zeit sei einer betreuenden Mutter keine Arbeit zuzumuten. Für die Zeit danach aber «kann dies bei normal entwickelten Kindern, welche keine ausserordentlichen Betreuungsbedürfnisse aufweisen, nicht gelten». Mit anderen Worten: Mütter sollen mitunter bereits eine Arbeit aufnehmen, wenn das Kind ein Jahr alt geworden ist. Es gebe, so steht es ebenfalls im Urteil, «keinen absoluten Anspruch auf Eigenbetreuung» des Kindes.
«10/16-Regel» stark ausgehöhlt
Von der «NZZ am Sonntag» befragte Rechtsexperten unterstreichen: Das Bundesgericht hat mit seinem Urteil vom 25. Juni 2018 die «10/16-Regel» zwar noch nicht abgeschafft, aber doch «stark ausgehöhlt». So lasse sich künftig kaum mehr schlüssig begründen, dass zum Beispiel eine Mutter mit einem Kind aus einem One-Night-Stand zwölf Monate nach der Niederkunft wieder arbeiten soll, während sich eine Mutter nach einjähriger Ehe gemäss der «10/16-Regel» noch mehrere Jahre ausschliesslich um ihr Kind kümmern könne. Das heisst: Mit diesem Urteil wird die «10/16-Regel» selber zur Ausnahme.
«10/16-Regel» wird wohl bald ganz gekippt
Die «NZZ am Sonntag»-Experten sind sich einig: Das Bundesgericht wird wohl bald auch klären, welche Rolle die «10/16-Regel» unter dem neuen, seit 2017 geltenden Unterhaltsrecht noch haben wird. Dabei ist davon auszugehen, dass das Gericht diese Regel dann wohl ganz kippen wird. Denn die Formel «10/16» ist heute nicht mehr zeitgemäss. Zumal auch der Bundesrat eine Überprüfung dieser Regel angeregt hat und einige kantonale Gerichte bereits von sich aus davon Abstand genommen haben. Und selbst ein Bundesrichter, Nicolas von Werdt, sagte letztes Jahr dem «Tages-Anzeiger»: «Meine persönliche Prognose ist, dass diese Regel fallen wird.»