Frage von Frau Dr. med. A.M. in S.: «Ich bin eine jüngere Spitalärztin und will mich demnächst selbständig machen. Dafür möchte ich einen Teil meines Pensionskassenkapitals beziehen und den Rest bei der gleichen Pensionskasse sofort in ein neues freiwilliges Vorsorgeverhältnis einbringen. Ist ein solcher «Teilbezug» der Pensionskasse beim Übergang in die Selbständigkeit erlaubt?» Hier die Antwort nach Rücksprache mit dem Bundesamt für Sozialversicherungen.
Das sagt das Gesetz
Artikel 5 des Freizügigkeitsgesetzes über die Barauszahlung von Pensionskassenkapital lautet: «Versicherte können die Barauszahlung der Austrittsleistung verlangen, wenn sie die Schweiz endgültig verlassen oder wenn sie eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnehmen und der obligatorischen beruflichen Vorsorge nicht mehr unterstehen oder wenn die Austrittsleistung weniger als ihr Jahresbeitrag beträgt.»
Für die Barauszahlung aus der Pensionskasse wegen Selbständigkeit gibt es daher ein zweifaches kumulatives Erfordernis: Die versicherte Person muss wirklich eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnehmen und der obligatorischen Vorsorge nicht mehr unterstehen. Das Vorsorgeverhältnis muss vollständig aufgelöst werden. Die Barauszahlung wird privilegiert mit dem Vorsorgesteuersatz besteuert.
Der faktische Teilbezug ist juristisch kein Teilbezug
Fragt sich, ob es im Rahmen dieser klaren gesetzlichen Vorschrift möglich ist, beim Übergang in die Selbständigkeit und nach der vollständigen Auflösung des Vorsorgeverhältnisses als Lohnabhängiger nur einen Teil des angesparten Pensionskassenkapitals in bar zu beziehen und den Rest allenfalls sogar bei der gleichen Pensionskasse sofort in ein neues freiwilliges Vorsorgeverhältnis einzuzahlen.
Nach Rücksprache mit dem Bundesamt für Sozialversicherung kann diese Frage wie folgt beantwortet werden: Im geschilderten Fall wird das Vorsorgeverhältnis als Lohnabhängiger ganz aufgelöst und das gesamte Guthaben verlässt die Vorsorgeeinrichtung. Es gibt daher juristisch gar keinen Teilbezug.
Man kann über das bezogene Kapital frei verfügen
Im Rahmen der neuen selbständigen Tätigkeit wird vielmehr sofort eine neue freiwillige Vorsorge errichtet. Dieses neue Vorsorgeverhältnis eröffnet die Möglichkeit, im Rahmen der vorhandenen Einkaufslücke die bezogenen Vorsorgegelder ganz oder teilweise in die neue Vorsorgeeinrichtung einzubringen.
Weil das beim Übergang in die Selbständigkeit bezogene Pensionskassenkapital vollständig frei verwendet werden darf, ist es möglich, nur einen Teil in bar zu beziehen und privilegiert zu besteuern und den Rest -höchstens im Umfang der Einkaufslücke - in ein neues freiwilliges Vorsorgeverhältnis einzuzahlen. Dieser Teil bleibt dann im Vorsorgekreislauf und muss deshalb nicht mit dem Sondersteuersatz besteuert werden.
Denn für die Besteuerung der Austrittsleistung ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung massgebend, ob der Steuerpflichtige tatsächlich über das Geld verfügen kann. Da die Übertragung eines Teils der Austrittsleistung direkt auf das neue freiwillige Vorsorgeverhältnis erfolgt, kann über diesen Teil nicht verfügt werden – somit wird dieser Teil auch nicht steuerpflichtig. Nur der andere Teil der Austrittsleistung, über den die nun selbständige Ärztin tatsächlich verfügen kann, muss besteuert werden.