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Krebs

Im Gegensatz zum Schleudertrauma führt die „krebsbedingte Fatigue“ zu einem Anspruch auf Invalidenrente. Das hat ein krebserkrankter Wirtschaftsprüfer vor Bundesgericht erstritten.

Ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle gibt es keine Invalidisierung
Der Wirtschaftsprüfer Hans M., 48-jährig, erkrankt an Lungenkrebs. Nach der operativen Entfernung des bösartigen Tumors muss er sich einer Chemotherapie unterziehen. Wegen der damit verbundenen Müdigkeit beantragt er eine Invalidenrente. Die Invalidenversicherung (IV) lehnt das Rentengesuch ab. Begründung: Die chronische Müdigkeit als Begleiterscheinung von Krebsbehandlungen könne organisch nicht nachgewiesen werden. Gemäss der Schweizer Rechtsprechung könnten solche Symptome willentlich überwunden werden. Deshalb führen sie zu keinem Anspruch auf Invalidenrente. Deutlich sei dies im aufsehenerregenden „Schleudertrauma-Urteil“ des Bundesgerichts (9C_510/2009) dargelegt worden: Schleudertraumafolgen ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle führen zu keiner Invalidisierung, weil die Symptome willentlich überwindbar sind.

Kantonsgericht widerspricht
Hans M. beschwert sich beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau gegen den ablehnenden Rentenentscheid. Ergebnis: Das Gericht spricht dem Beschwerdeführer für die Zeit ab dem 1. April 2009 eine ganze IV-Rente zu und ab dem 1. November 2009 eine halbe. Die Invalidenversicherung ist mit diesem Richterspruch nicht einverstanden. Sie gelangt mit einer Beschwerde ans Bundesgericht und verlangt die Aufhebung des kantonalen Entscheids.

Krebsbedingte Müdigkeit hat zumindest mittelbar eine organische Ursache
Das Bundesgericht erwägt (8C_32/2013 vom 19. Juni): Tatsächlich lehnt die Rechtsprechung bei körperlichen Beschwerden ohne einen hinreichenden organischen Befund den Anspruch auf eine IV-Rente ab. Dies vor allem dann, wenn die Symptome mit einer zumutbaren Willensanstrengung zu überwinden sind. Das gilt etwa bei chronischen Schmerzen oder Schlafsucht ohne nachweisbare organische Ursachen – und eben auch bei den Folgen des Schleudertraumas.
Aber: Krebspatienten leiden während und oft auch noch lange nach der Therapie unter chronischer Müdigkeit. Deren Ursachen und Entstehung sind derzeit zwar noch nicht vollständig geklärt. Doch sie tritt im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung meistens auf. Laut dem Bundesgericht hat deshalb die „krebsbedingte Fatigue“, zumindest mittelbar, eine organische Ursache. Sie zählt mithin nicht zu den Beschwerden ohne nachweisbaren organischen Befund, bei denen laut der bisherigen Rechtsprechung der Anspruch auf eine IV-Rente entfällt.

Invaliditätsgrad 50 Prozent
Laut dem Urteil des Bundesgerichts muss die Invalidenversicherung dem Wirtschaftsprüfer Hans M. aufgrund seiner krebsbedingten Müdigkeit, wie vom kantonalen Gericht festgelegt, vom 1. April bis zum 31. Oktober 2009 eine ganze und ab dem 1. November 2009 eine halbe Invalidenrente bezahlen. Damit wird bei dieser Art der chronischen Müdigkeit ein Invaliditätsgrad von 50 Prozent höchstrichterlich bestätigt.
Das Urteil ist von besonderer Bedeutung, weil der von der IV festgelegte Invaliditätsgrad auch die Leistungen der Pensionskassen bestimmt. Laut Gesetz entsteht ein Anspruch auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge, wenn eine Person im Sinne der IV zu mindestens 40 Prozent invalid ist. Der Betroffene erhält eine volle Invalidenrente, wenn sein Invaliditätsgrad mindestens 70 Prozent beträgt. Ab 60 Prozent gibt es eine Dreiviertelrente. Mit seinem bundesgerichtlich bestätigten Invaliditätsgrad von 50 Prozent hat Hans M. bei seiner Pensionskasse das gesetzliche Anrecht auf eine halbe Invalidenrente.


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